Friday, November 2, 2007

Chicago Blues

Chicago rühmt sich als Geburtsort der Wolkenkratzer (das zehnstöckige Home Insurance Building war 1885 das erste Haus mit Stahlskelett) und der Atombombe (die erste nukleare Reaktion schafften Wissenschaftler der University of Chicago). Doch etwas noch viel gewaltigeres hat seine Wurzeln in dieser Stadt: Der Chicago Blues.

Befragt man das Musiklexikon, hat es folgendes zur Geschichte des Chicago Blues zu berichten:
"Der Chicago Blues basiert auf dem
unkomplizierten, rauhen und direkten Delta Blues. Die verarmte schwarze Arbeiterbevölkerung zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Süden der USA in die Großstädte des mittleren Westens. Hier kam ihr Blues mit dem städtischen Leben in Kontakt und wurde elektrisch verstärkt. Das Piano entwickelte sich neben der Gitarre zu einem prägenden Instrument des neuen Stils. Die Zeit von 1947 bis 1957 gilt als Blütezeit des Chicago Blues. In dieser Zeit prägten Blueser wie Muddy Waters, Little Walter, Howlin’ Wolf, John Brim, J.B. Hutto und andere den neuen, harten, elektrischen Combo-Blues aus der "Windy City"." (Quelle: Dieter Moll "Das Buch des Blues").

Aber Chicago ist groß und die Musikszene ist heute noch variantenreicher als damals. Wo also soll man hingehen, wenn man den Blues in seiner reinsten Form erleben will? Gitarrenlegende George Thorogood gibt in seinem Lied "Any town USA" die Antwort:
We gotta go back to Chicago
Down the Halsted Street
I want to hang around the Checkerboard Lounge

And get me something good to eat
Wrigley’s in the Windy City

Yeah, it blows my blues away
Back to Sweet Home Chicago


Also ab geht es, auf die Haldsted Street. Und diese Straße ist auch genau der richtige Platz. Hier findet der Bluesfreund zahlreiche Kneipen mit einzigartigen Musikern, die bis in die frühen Morgenstunden spielen. Es ist Samstag, nach zehn. Die Nacht ist längst eingekehrt, aber die Halsted Street strahlt im Neonlicht etlicher Barschilder. Auf dem Fußgängerweg findet man jetzt mehr Menschen als am Tag. Die Leute sind gut gelaunt, betrunken, sie lachen, geben Freudenschreie von sich und haben eine gute Zeit. Zuerst führt mich mein Weg ins B.L.U.E.S. Der Eintritt beträgt 10$, aber der Name ist Programm. Es spielt die alteingesessene Band "Willie Davis and the Allstars", die ihre Karriere vor 34 Jahren in Chicago began. Seitdem hat sie die Musik quer durch die Staaten geführt. Ich komme mit einem alten Wegbegleiter der Gruppe ins Gespräch. Wir reden über die Musik und ich frage ihn, welche Kneipen er für gute Konzerte empfehlen würde. "Wenn ich nicht hier wäre, wäre ich jetzt drüben im Kingston Mines", gibt er zu verstehen und erklärt wieso: "Da spielt heute Magic Slim, der beste Slide-Gitarrist, den Chicago je hervorgebracht hat." Die Allstars nehmen gerade eine Pause und da mein Bier leer ist, verlasse ich meinen Thresennachbarn und folge seinem Tipp ins Kingston Miles. Zuvor will ich eine eventuelle Rückkehr ins B.L.U.E.S. aber nicht ausschließen und frage beim Rausgehen den bulligen und grimmig dreinschauenden Türsteher nach einem Stempel. "Unnötig, wir merken uns dein Gesicht", krieg ich als augenzwinkernde Antwort. Um auf die andere Straßenseite zu gelangen, muss ich mich nur durch den zu dieser späten Stunde noch immer dichten Verkehr quetschen und schon stehe ich am Eingang von Chicagos ältestem und größtem Bluesclub - Kingston Mines. Die Türsteher hier sind nicht minder bullig und grimmig und wollen nach meinem Ausweis gleich 15$ Eintritt. Das war´s wohl, meine Kohle reicht gerade mal noch für ein Bier, nicht aber für die Band. Ich quatsche mit dem Türsteher, berichte mein Leid, als Deutscher kaum in den Genuß von Blueskonzerten zu kommen und Legenden aus Chicago sowieso nie zu sehen. "Und Magic Slim ist ja auch noch einer der besten Slidegitarristen der Welt", füge ich wehleidig hinzu. Als ich schon gehen will, hat der Türsteher Mitleid und öffnet mir mit "Sei mein Gast" die Tür.
Da sitze ich nun im Kingston Mines, über vier Stunden lang. Mein letzes Bier strecke ich für mindestens eine Stunde und sehe dem Meister bei der Arbeit zu. Die Kneipe ist bis unters Dach gefüllt, ich finde einen Platz neben der Tanzfläche. Magic Slim flätzt lässig auf einem Barhocker auf der Bühne und genießt das Konzert mindestens ebenso sehr wie sein Publikum. Sein breites Grinsen verfliegt nicht mal beim Singen. Er ist mittlerweile ein alter Mann, hat nur noch wenige Zähne im Mund, aber die Hingabe und Eindringlichkeit, mit welcher er spielt, ist ein unvergleichliches Erlebnis. Einfach magic. Wer braucht da noch Wolkenkratzer und Atombomben?

1 comment:

Anonymous said...

Good for people to know.