Tuesday, November 27, 2007

Im Garten vor der Stadt

Das Leben in der Stadt ist ermüdend. Der Lärm von Verkehr und Menschen, die Jagd nach Bus und Zug und die Überlegenheit von Stahl und Beton rufen nach einer Auszeit in der Natur. Chicago ist keine wirklich „grüne“ Stadt wie Leipzig, aber man findet auch hier Parks, Grünanlagen und Gärten zur Entspannung. Einer der schönsten Parks in oder besser gesagt bei Chicago ist der botanical garden, etwa eine halbe Stunde mit dem Zug nördlich gelegen. Wer die Möglichkeit hat mit dem Auto unterwegs zu sein, sollte dies nutzen, denn von der Zughaltestelle bis zum Parkeingang ist es ein Fussmarsch von etwa zwei Kilometern und mancheiner ist dann vielleicht schon ermüdet bevor der eigentliche Spaziergang durch den Park überhaupt begonnen hat.

Zu jeder Jahreszeit hat der Park etwas zu bieten, aber ich glaube gerade jetzt im Spätherbst erlebt man ihn in seiner Blüte. Besonders in diesem Herbst, der Chicago ungewohnt langanhaltenden Sonnenschein und wolkenfreien Himmel schenkt. Blumen gibt es zwar kaum noch zu sehen, dafür tragen aber die Bäume ihr Laubkleid in allen nur denkbaren Herbstfarben. Auf einer Fläche von ungefähr 156ha (=385acre) schlendert der Besucher durch 27 unterschiedlich gestaltete Gärten. Es gibt die Esplanade mit einer Vielzahl an Springbrunnen und Fontänen, kleinen Tümpeln und Teichen, den Fruit & Vegetable Garden in dem in Gewächshäusern oder im Freien Äpfel, Trauben und Kürbisse geerntet werden, eine lange Holzbrücke führt zur Evening Island, einer hügeligen Insel mit weiten Wiesen, langen Steinmauern und einem Glockenturm, der zu jeder vollen Stunde schlägt. Ein weiterer Höhepunkt des Parks ist der Japanese Garden, inmitten eines Sees gelegen, mit liebevollen Pfaden und kleinen Wasserfällen. Mein Liebling des gesamten Rundgangs ist jedoch der English Walled Garden, ein Garten der sich in sechs verschiedene Gärtenräume aufteilt, daher wie ein Labyrinth wirkt und mit seinen versteckten Ecken, einladenden Pavillons und schmalen Wegen an die klassische Romantik vergangener Tage erinnert.

Man muss kein Langstreckenläufer sein um den gesamten Park an einem Tag zu besichtigen. Auch im gemütlichen Gang ist Zeit genug für alle Attraktivitäten; es ist Zeit genug um unter den Linden des Lakeside Garden auszuruhen oder eine Mahlzeit im Gartencafé zu genießen und trotzdem nichts zu verpassen. Hektik und Eile hat man schließlich bal
d in der Stadt wieder zu genüge.

Wednesday, November 14, 2007

Fräulein, die Rechnung bitte!

Typisch amerikanisch sind für mich die kleinen Diners, diese gemütliche Mischung aus Schnellimbiss und Restaurant. Man tritt ein, manchmal bekommt man einen Platz zugeteilt und manchmal nimmt man sich selbst einen, aber immer landet man auf einem gemütlichen Sitz, der an die bequeme Couch zu Hause erinnert. Sofort steht ein Glas eisgekühltes Wasser auf dem Tisch, man hält die Speisekarte in Händen und bestaunt die riesengroße Auswahl an Burgern, Fritten und Salaten. Die Bedienungen tragen meist grüne oder rosa Kleider mit weißer Schürze und Namensschildchen und legen ein schnelles Tempo vor, um die Gäste nicht länger als nötig warten zu lassen.

Problematisch wird es für den Neuling in Amerika bei der Bezahlung. In Amerika wie in Deutschland kann man zur eigentlichen Rechnung ein kleines Trinkgeld geben. In Deutschland wird die Höhe dieses Trinkgelds nach eigenem Ermessen festgelegt, wenn man überhaupt Trinkgeld geben möchte.
In Amerika ist es ein wenig anders. Das Trinkgeld sollte eine Höhe von 15-20% des Rechnungsbetrages haben und ist obligatorisch. Doch ich werde beim Essen manchmal das Gefühl nicht los, die Bedienung hat Angst um ihr Trinkgeld und will diese Angst durch doppelten Einsatz an Höflichkeit und Nachfrage ausgleichen. Und wenn aller zwei Minuten, mein Mund mit turkey, mashed potatoes und beans vollgestopft und zum Sprechen nicht fähig, nach meiner Zufriedenheit gefragt wird, ist das schon ein bisschen...störend. Denn man wird irgendwie das Gefühl nicht los, es geht der Kellnerin nicht wirklich um mein Wohl, sondern um das Wohl ihrer Brieftasche.

Tips sollte man als Gast eines amerikanischen Restaurants wirklich als seine Pflicht ansehen, da dies für viele Kellner der eigentliche Lohn ist. Dies gilt auch für Leute, die vom Trinkgeldgeben nicht viel halten, da sie in ihrem Job selbst unterbezahlt sind und dennoch keinen Obolus von der Kundschaft erhalten (vor meinem inneren Auge erscheinen meine Studenten, die mir nach einer schönen Unterrichtsstunde als Dankeschön ein paar Bucks auf den Schreibtisch legen).

Übrigens: Im amerikanischen Restaurant zahlt man sein Trinkgeld nicht mit der Rechnung, sondern lässt seine Scheine auf dem Tisch liegen. Für das deutsche Aufrunden der Rechnung beim Bezahlen wird man nur verwirrt angeschaut.

Friday, November 2, 2007

Chicago Blues

Chicago rühmt sich als Geburtsort der Wolkenkratzer (das zehnstöckige Home Insurance Building war 1885 das erste Haus mit Stahlskelett) und der Atombombe (die erste nukleare Reaktion schafften Wissenschaftler der University of Chicago). Doch etwas noch viel gewaltigeres hat seine Wurzeln in dieser Stadt: Der Chicago Blues.

Befragt man das Musiklexikon, hat es folgendes zur Geschichte des Chicago Blues zu berichten:
"Der Chicago Blues basiert auf dem
unkomplizierten, rauhen und direkten Delta Blues. Die verarmte schwarze Arbeiterbevölkerung zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Süden der USA in die Großstädte des mittleren Westens. Hier kam ihr Blues mit dem städtischen Leben in Kontakt und wurde elektrisch verstärkt. Das Piano entwickelte sich neben der Gitarre zu einem prägenden Instrument des neuen Stils. Die Zeit von 1947 bis 1957 gilt als Blütezeit des Chicago Blues. In dieser Zeit prägten Blueser wie Muddy Waters, Little Walter, Howlin’ Wolf, John Brim, J.B. Hutto und andere den neuen, harten, elektrischen Combo-Blues aus der "Windy City"." (Quelle: Dieter Moll "Das Buch des Blues").

Aber Chicago ist groß und die Musikszene ist heute noch variantenreicher als damals. Wo also soll man hingehen, wenn man den Blues in seiner reinsten Form erleben will? Gitarrenlegende George Thorogood gibt in seinem Lied "Any town USA" die Antwort:
We gotta go back to Chicago
Down the Halsted Street
I want to hang around the Checkerboard Lounge

And get me something good to eat
Wrigley’s in the Windy City

Yeah, it blows my blues away
Back to Sweet Home Chicago


Also ab geht es, auf die Haldsted Street. Und diese Straße ist auch genau der richtige Platz. Hier findet der Bluesfreund zahlreiche Kneipen mit einzigartigen Musikern, die bis in die frühen Morgenstunden spielen. Es ist Samstag, nach zehn. Die Nacht ist längst eingekehrt, aber die Halsted Street strahlt im Neonlicht etlicher Barschilder. Auf dem Fußgängerweg findet man jetzt mehr Menschen als am Tag. Die Leute sind gut gelaunt, betrunken, sie lachen, geben Freudenschreie von sich und haben eine gute Zeit. Zuerst führt mich mein Weg ins B.L.U.E.S. Der Eintritt beträgt 10$, aber der Name ist Programm. Es spielt die alteingesessene Band "Willie Davis and the Allstars", die ihre Karriere vor 34 Jahren in Chicago began. Seitdem hat sie die Musik quer durch die Staaten geführt. Ich komme mit einem alten Wegbegleiter der Gruppe ins Gespräch. Wir reden über die Musik und ich frage ihn, welche Kneipen er für gute Konzerte empfehlen würde. "Wenn ich nicht hier wäre, wäre ich jetzt drüben im Kingston Mines", gibt er zu verstehen und erklärt wieso: "Da spielt heute Magic Slim, der beste Slide-Gitarrist, den Chicago je hervorgebracht hat." Die Allstars nehmen gerade eine Pause und da mein Bier leer ist, verlasse ich meinen Thresennachbarn und folge seinem Tipp ins Kingston Miles. Zuvor will ich eine eventuelle Rückkehr ins B.L.U.E.S. aber nicht ausschließen und frage beim Rausgehen den bulligen und grimmig dreinschauenden Türsteher nach einem Stempel. "Unnötig, wir merken uns dein Gesicht", krieg ich als augenzwinkernde Antwort. Um auf die andere Straßenseite zu gelangen, muss ich mich nur durch den zu dieser späten Stunde noch immer dichten Verkehr quetschen und schon stehe ich am Eingang von Chicagos ältestem und größtem Bluesclub - Kingston Mines. Die Türsteher hier sind nicht minder bullig und grimmig und wollen nach meinem Ausweis gleich 15$ Eintritt. Das war´s wohl, meine Kohle reicht gerade mal noch für ein Bier, nicht aber für die Band. Ich quatsche mit dem Türsteher, berichte mein Leid, als Deutscher kaum in den Genuß von Blueskonzerten zu kommen und Legenden aus Chicago sowieso nie zu sehen. "Und Magic Slim ist ja auch noch einer der besten Slidegitarristen der Welt", füge ich wehleidig hinzu. Als ich schon gehen will, hat der Türsteher Mitleid und öffnet mir mit "Sei mein Gast" die Tür.
Da sitze ich nun im Kingston Mines, über vier Stunden lang. Mein letzes Bier strecke ich für mindestens eine Stunde und sehe dem Meister bei der Arbeit zu. Die Kneipe ist bis unters Dach gefüllt, ich finde einen Platz neben der Tanzfläche. Magic Slim flätzt lässig auf einem Barhocker auf der Bühne und genießt das Konzert mindestens ebenso sehr wie sein Publikum. Sein breites Grinsen verfliegt nicht mal beim Singen. Er ist mittlerweile ein alter Mann, hat nur noch wenige Zähne im Mund, aber die Hingabe und Eindringlichkeit, mit welcher er spielt, ist ein unvergleichliches Erlebnis. Einfach magic. Wer braucht da noch Wolkenkratzer und Atombomben?